Discussion:
Was ist ein Plagiat?
(zu alt für eine Antwort)
Manuel Rodriguez
2012-05-02 20:06:32 UTC
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Kann mir bitte jemand mal erklären, was ein Plagiat ist? Zwar habe ich
mir [2] angeschaut und finde dort einzelne Textstellen mit der
Bemerkung "Bauernopfer", und formal kann ich auch nachvollziehen was
damit gemeint sein könnte, doch irgendwie werde ich aus der gesamten
Plagiatsdiskussion nicht so recht schlau.

Also in der Nicht-Text-Welt ist ziemlich einfach zu erklären, was ein
Plagiat ist. Wenn auf einem chinesischen Wochenmarkt jemand ein selbst
gemaltes Bild der Mona Lisa anbietet, wo die Farbe noch nicht mal ganz
trocken ist, dann ist das mit großer Wahrscheinlichkeit ein "Malen
nach Zahlen" Kunstwerk. D.h. der Chinese hat die echte Mona Lisa
einfach mit Bleistift abgepraust, und dann mit viel Liebe zum Detail
die verschiedenen Farben in die Kästchen gemalt, bis am Ende eine
identische Kopie dabei herauskam. Der Wert dieser neuen Mona Lisa
beträgt ca. 50 $, was ein guter Preis ist für ein echtes handgemaltes
Bild.

Vermutlich kann man auf dem gleichen chinesischen Markt auch noch
handgepresste Windows 8 Rohlinge, nachgemachte iPads sowie "Original"
Levis Jeans käuflich erwerben. In all diesen Fällen bestand die
Leistung der chinesischen Kaufleute darin, ein Original möglichst
exakt nachzuahmen um es dann zu verkaufen.

Aber ist dieses Sinnbild auch so einfach auf die wissenschaftliche
Textarbeit zu übertragen? Sind Schavan, Gutenberg und all die anderen
überführten nichts weiter als Chinesen, die ein Original täuschend
echt nachgeahmt haben? Die Frage, was ein Textplagiat ist kann nur
beantwortet werden, wenn klar ist, was "Texten nach Zahlen" bedeutet.
Also "Malen nach Zahlen" ist ziemlich simpel. Ich persönlich bin
beispielsweise gerade damit beschäftigt, ein Acrylbild mit Spiderman
zu vollenden. In der Schachtel (auf der
Packung stand: "Nicht für Kinder unter 3 Jahren, diese könnten die
Farben verschlucken"), in der Schachtel war so ein schöner fester
Karton mit den Umrissen von Spiderman mitten in der Stadt. Und
natürlich wurden jede Menge coole Farben mitgeliefert. Jetzt brauchte
ich nur noch die Farben in die dafür passenden Kästchen reinmalen,
aufpassen dass ich meine "Made in China" Krawatte nicht voll kleckere
und schon hatte ich wundervolles selbst gemaltes Bild. Ich habe also
nichts weiter gemacht, als einer vorgegebenen Anleitung gefolgt zu
sein, um aus den Rohstoffen (Pinsel, Farben, Strichzeichnung) ein
Fertigprodukt (Spiderman auf dem Hochhaus) zu erzeugen.

Aber was ist jetzt mit "Texten nach Zahlen"? Vorstellbar wäre
beispielsweise, dass in der Spielwarenabteilung ein Schreibspiel
verkauft wird. Beispielsweise von Ravensburger. Mitgeliefert wird eine
rosarote Barbieschreibmaschine aus Plastik (Kinder stehen auf sowas),
eine Gliederung für eine wissenschaftliche Hausarbeit und noch eine CD-
ROM wo einige Fachtexte drauf sind. Der Clou ist jetzt, dass Kinder
die Gliederung nehmen können um diese auszufüllen. So kann man nichts
falsch machen und fühlt sich bereits als kleiner großer
Schriftsteller.

Ich persönlich sehe zwar keinen Sinn darin, auf diese Weise einen Text
zu erstellen, aber ähnlich wie bei "Malen nach Zahlen" akzeptiere ich
diese Art von Unterhaltung. Es ist ein netter Zeitvertreib soetwas zu
produzieren und auch zu konsumieren. Nur beschweren sollte man sich
nicht. Klar, wenn ich auf dem chinesischen Wochenmarkt die Mona Lisa
für 50 $ erstanden habe, und mich dann zu Hause darüber aufrege, dass
sie gar nicht von da Vinci ist und ein Kunstkenner mir versichert,
dass der Wert dieser Arbeit gleich Null ist, ja dann kann mir
vermutlich nur noch der Psychiater weiterhelfen. Ich meine, welcher
Vollidiot erwartet denn, für 50 $ die echte Mona Lisa zu kaufen? So
blöd kann man doch gar nicht sein.

Insofern verstehe ich nicht ganz die Aufregung, dass man jetzt die
Chinesen bestrafen will. Also ich seh das so: Gutenberg hat damals
eine sehr gute Arbeit abgeliefert. Sie war handwerklich gut ausgeführt
und nicht schlechter als all die anderen Arbeiten. Insofern war sein
Lohn, der Doktortitel, durchaus angemessen. Letztlich ist das Problem
doch nicht Gutenberg oder Schavan oder sonstwer, sondern das Problem
ist allein auf der Nachfrageseite zu suchen.

Ich meine, schaut euch dochmal die Anforderungen für Dissertationen
an, also das was die Universitäten gerne haben möchten und wofür sie
bereit sind, mit Doktorwürde zu bezahlen. Diese formalen Anforderungen
sind entweder in universitätseigenen Guidelines festgelegt, oder aber
in [3] in ausführlicher Form niedergelegt. Im Grunde wollen die
Doktorvaters doch nichts anderes als eine Mona Lisa in Textform haben
und die schlauen Kinder liefern sie. So funktioniert das eben in der
Wirtschaft.

Schaut man sich dieses ganze Gedöns mit den organisierten Think-Thanks
einmal genauer an, so sind Plagiate noch das geringste der zahlreichen
Übel. Zunächst einmal haben es die Universitätsbibliotheken bis heute
nicht auf die Reihe bekommen, ein einfaches "Ja" auf die Anfrage von
Google zur Komplettdigitalisierung aller Buchbestände anzukreuzen. So
schwer kann das doch nicht sein, diese Anti-Haltung bezüglich
Fortschritt beiseite zu legen. Und ferner ist es bis heute verboten,
eine einfache wissenschaftliche Zeitschrift, z.B. aus dem Springer-
Verlag, einzuscannen und ins Internet hochzuladen. Wie in diesem Klima
der gegenseitigen Bevormundung überhaupt jemand die Motivation
verspürt, geistige Arbeit zu verrichten ist mir bis heute ein Rätsel.

Last but not least, sollte man sich klarmachen, wofür Universitäten
eigentlich da sind. Sind es Lehrbetriebe für das zweckfreie Forschen?
Sind es Kathedralen des Wissens und der Unabhängigkeit? Sind es
wichtige Institutionen? Jedesmal leider nein. Universitäten sind
bessere Ausbildungsbetriebe, welche Abiturienten für die Wirtschaft
fit machen sollen. Der formale Abschluss als Diplom-Betriebswirt oder
als Doktor der Philosophie soll lediglich die Stellensuche
vereinfachen. Der angesiffte Personalchef eines Rummelplatzes erkennt
an einem bestanden Diplom dass der Bewerber in seine Bildung
investiert hat und Durchhaltevermögen mitbringt. Genau solche Leute
werden benötigt, um Zuckerwatte zu verkaufen, die Autoscooter zu
reparieren oder in der Losbude auszuhelfen.

Ehrlich gesagt, halte ich den gesamten Universitätsbetrieb für
absoluten Dreck, ob da jetzt noch ein zwei Plagiate dabei sind oder
nicht, ändert daran nichts.

LITERATUR

@MISC{1,
author = {},
title = {},
url = {http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/
0,1518,830991,00.html},
year = {},
note = {},
}

@MISC{2,
author = {},
title = {},
url = {http://schavanplag.wordpress.com/},
year = {},
note = {},
}

@MISC{3,
author = {Theisen},
title = {Wissenschaftliches Arbeiten, Technik - Methodik - Form},
url = {},
year = {},
note = {},
}
Jens Müller
2012-05-04 22:07:37 UTC
Permalink
Post by Manuel Rodriguez
Im Grunde wollen die
Doktorvaters doch nichts anderes als eine Mona Lisa in Textform haben
und die schlauen Kinder liefern sie.
http://www.phdcomics.com/comics/archive.php?comicid=921

Gruß Jens

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